Muhammad Ali
»I am the Greatest!«
Er wurde vom meistgehassten zu einem der am meisten bewunderten Sportler der USA, zu einer nationalen Ikone. Muhammad Ali war der bekannteste Sportler des 20. Jahrhunderts und gewann drei Mal den Titel des unumstrittenen Schwergewichtsweltmeisters im Boxen. Seine Leistungen in dieser schon immer prestigeträchtigen Disziplin waren überragend, aber nicht der ausschlaggebende Grund für seine Popularität. Vor allem war er ein Genie der Selbstvermarktung.
Cassius Clay – so sein Geburtsname – war bereits eine Berühmtheit, bevor er im Jahr 1964 seinen ersten Titelkampf gegen den Schwergewichtsweltmeister Sonny Liston erfolgreich bestritten hatte. Schon ein Jahr vor diesem Sieg hob ihn die Zeitschrift »Time« (die damals eine Auflage von zehn Millionen hatte) auf ihre Titelseite. Eine Zeichnung zeigte ihn mit herausfordernd gehobenem Kopf und offenem Mund; über Clays Kopf umfasste ein paar Boxhandschuhe einen Gedichtband – eine Anspielung auf seine Gewohnheit, kurze Verse zu dichten. In der Titelgeschichte war zu lesen: »Cassius Clay ist Herakles, der seine zwölf Arbeiten vollbringt. Er ist Jason auf der Jagd nach dem Goldenen Vlies. Er ist Galahad, Cyrano, D’Artagnan. Wenn er mürrisch blickt, erzittern starke Männer, und wenn er lächelt, schmelzen die Frauen dahin. Die Rätsel des Universums sind seine Bauklötze. Er lässt den Donner grollen und schleudert den Blitz.« Als diese Zeilen erschienen, war Clay noch in den Anfängen seiner Karriere. Aber schon damals ließ er die Welt wissen, dass er der Größte und der Schönste sei und dass niemand ihn schlagen könne.
Eine Computeranalyse der Filmaufzeichnungen seiner Kämpfe ergab, dass er in der ersten Phase seiner Karriere, von 1960 bis 1967, 61,4 Prozent aller Treffer erzielte. In der zweiten Phase seiner Karriere ab 1970 erzielte er nur noch 50 Prozent der Treffer in einem Kampf. Computeranalysen vergleichen die Prozentzahl der gelandeten Treffer eines Boxers im Vergleich zur Prozentzahl der Treffer, die ihre Gegner landen können. Die Differenz dieser beiden Werte betrug bei dem Weltergewichtler Floyd Mayweather jr. 25,2 Prozentpunkte, bei Joe Frazier 18,9 Prozentpunkte, während bei Muhammad Ali die Differenz sehr viel schlechter war und minus 1,7 Prozentpunkte betrug. Selbst wenn man weitere Faktoren einbezieht, wie etwa die Zahl der schweren Treffer, schaffte es Ali nicht unter die besten Schwergewichtler der Boxgeschichte.
Sein Biograf Jonathan Eig bilanziert: »Unter all diesen statistischen Gesichtspunkten war die Bilanz des Mannes, der sich selbst als ›den Größten‹ bezeichnete, während eines Großteils seiner Karriere unterdurchschnittlich.« Und Eig fragt denn auch: »Sprachen ihm die Punktrichter unberechtigte Rundengewinne zu, weil er über einen auffälligen Kampfstil verfügte und von den Schlägen seiner Gegner scheinbar nie gezeichnet wurde? Gewann er Runden einfach nur, weil er der große Muhammad Ali war?« In der Tat waren einige seiner Siege umstritten. Dass Kampfrichter nicht unbeeindruckt von der Berühmtheit und dem Charisma eines Sportlers urteilen, wissen wir auch von anderen Superstars. Schon die Tatsache, dass er die Chance erhielt, einen Titelkampf zu bestreiten, war ein Ergebnis seines PR-Genies. »Wäre Clay ein gewöhnlicher Boxer mit einer Kampfbilanz von 17 Siegen in Serie ohne eine Niederlage gewesen, mit Siegen gegen Boxer, die allesamt nicht (oder nicht mehr) zur Spitzenklasse gehörten, wäre er für einen Titelkampf nicht infrage gekommen «, so Eig. Aber Clay war anders als alle anderen Boxer. Sein großes Mundwerk sowie seine Angewohnheit, genaue Vorhersagen darüber zu machen, in welcher Runde seine Gegner fielen, waren ebenso ein Faktor wie sein gutes Aussehen. Aber allem voran nennt Eig die Tatsache, dass er sich schon früh »zu einem äußerst geschickten Werbefachmann in eigener Sache entwickelte«.
Clay war nicht gebildet, tat sich schwer im Lesen wie im Schreiben. Im Jahr 1957 unterzog er sich einem Intelligenztest und erzielte ein unterdurchschnittliches Ergebnis. Sein Abschlusszeugnis von der High School bestand aus einem »certificate of attendance« (Teilnahmebescheinigung), dem schlechtesten von der Schule vergebenen Abschluss. In dem 391 Schüler starken Abschlussjahrgang belegte er Platz 376. Beim Intelligenztest für die Aufnahme in die Armee fiel er zunächst zweimal durch und erreichte später die Mindestpunktzahl nur, weil die US-Army sie wegen des Vietnamkrieges gesenkt hatte. Später in seinem Leben bekannte er, dass er niemals ein Buch gelesen habe.
Das Einzige, was ihm an der Schule gefiel, war das Publikum, das er dort hatte. »Die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, öffentliches Auftreten, das gefiel mir am besten «, erinnerte sich Clay. »Und bald war ich der bekannteste Junge in der Schule.«
Für eine Zeitungskolumne, die man in vier bis fünf Minuten lesen konnte, brauchte er 20 bis 30 Minuten, aber er hatte ein unglaubliches Talent für PR und erklärte schon als junger Mann detailliert seine Medienstrategie, also wie er mit einzelnen Zeitungen und Journalisten umging.
Ein Beispiel für seinen Einfallsreichtum im Umgang mit den Medien war ein Zusammentreffen mit einem Fotografen, der Clay für die Zeitschrift »Sports Illustrated « fotografieren sollte. Der ambitionierte Sportler fragte ihn, für welche Medien er noch arbeite, und war elektrisiert, als der Fotograf erwähnte, dass er häufig auch für »Life« fotografierte, damals das auflagenstärkste Magazin in den USA. Auf Clays Frage an den Fotografen, ob er ihn auch für »Life« fotografieren könnte, entgegnete dieser, das könne er nicht entscheiden und er werde wohl kaum einen Auftrag dazu von der Redaktion erhalten. Clay, noch in den Anfängen seiner Karriere, ließ jedoch nicht locker und fragte den Fotografen aus, welche Fotos er sonst noch so mache. Nachdem der Fotograf erwidert hatte, dass er sich auf Unterwasserfotografie spezialisiert habe, meinte Clay: »Ich habe es niemals jemandem erzählt, aber Angelo und ich haben ein Geheimnis. Weißt du, warum ich der schnellste Schwergewichtler der Welt bin? Ich bin der einzige Schwergewichtler, der unter Wasser trainiert.« Er trainiere aus dem gleichen Grund im Wasser, aus dem manche Sportler beim Laufen schwere Schuhe tragen. »Tja, und ich gehe bis zum Hals ins Wasser und punche im Wasser, und wenn ich aus dem Wasser komme, dann bin ich blitzschnell, weil es keinen Widerstand mehr gibt.« Der Fotograf war zwar erst misstrauisch, aber Ali bot ihm an, ihn bei einem Training dieser Art zu begleiten und exklusiv für »Life« darüber zu berichten. Der Fotograf rief das Magazin an und erhielt schließlich den Auftrag für die Fotosession, und »Life« brachte einen Artikel, wie der Box-Champion unter Wasser trainierte. Natürlich hatte sich Clay die ganze Geschichte nur ausgedacht, aber der Erfolg, nämlich ein Porträt im auflagenstärksten Magazin der USA, bestätigte ihn.
Ali, so erinnert sich Neil Leifer, der ihn oft fotografierte, »war der Traum eines Fotografen … Ali wusste, wie man posiert. Ich denke, es war die Eitelkeit, die ihn sich auf die Kamera konzentrieren ließ … Ein Fotograf konnte mit Ali nichts falsch machen. Er machte deinen Job zu einem Erfolg, nur indem er auftauchte.« Nach Einschätzung von Dick Schaap, damals einer der bekanntesten Sportreporter der USA, hat Clay mehr Interviews gegeben »als irgendjemand sonst in der Geschichte … Ich kann mir keinen Politiker und keine Figur aus dem Showgeschäft denken, die so viele Male und so lang mit so vielen Menschen geredet hat, wie er es getan hat.«
Mike Katz, ein bekannter Sportjournalist, der vor allem für die »New York Times« arbeitete, glaubt nicht, »dass es einen anderen Sportler in der Geschichte gab, der den Medien so viel von sich gab wie Ali. Er mochte die Aufmerksamkeit, sie ließ ihn aufblühen.« Katz fügte hinzu, wenn keine Menschen in der Nähe wären, würde Ali wahrscheinlich die Aufmerksamkeit einer Katze in Anspruch nehmen. »Aber er arbeitete auch kooperativ mit den Medien zusammen und verstand sie besser als jeder, den ich kenne.« Selbst für die kleinsten Medien habe er sich viel Zeit genommen. »Ali verwandte ebenso viel Zeit auf ein Gespräch mit einem Zehntklässler von der örtlichen Highschool-Zeitung wie für den Boxsport-Reporter der ›New York Times‹«, so Katz.
Laut Ed Schuyler von der führenden Nachrichtenagentur »Associated Press« hat es niemals einen Sportsuperstar gegeben, »der für die Medien zugänglicher war als Ali. Sein Trainingscamp war immer offen. Man konnte 24 Stunden am Tag über ihn berichten … Sobald er ein Mikro sah, oder wenn zwei oder drei von uns Notizen machten, war es, als hätte jemand einen Schalter umgelegt und ein Licht ginge an.«
Schon in der Anfangsphase seiner Profilaufbahn trug Clay weiße T-Shirts, auf die in roter Schrift sein Name gedruckt war. Andere Boxer trugen ihren Namen auf dem Rückenteil des Bademantels, aber das galt nur für die Kampfabende. »Es war vielleicht das erste Mal überhaupt, dass ein amerikanischer Sportler den eigenen Namenszug als Gestaltungselement für Alltagskleidung verwendete. Hier zeigte er sich bereits als einer der geschicktesten Selbstvermarkter der gesamten Sportszene.«
Clay dachte sich immer neue PR-Gags aus. Lange vor seinem ersten Titelkampf ließ er sich in einer Ladenpassage in New York am Time Square eine Zeitung ausdrucken mit einer selbst ausgedachten Schlagzeile: »Cassius fordert Patterson heraus«. »Zu Hause«, so Clay, »glaubten sie, das ist echt«. Er war bekannt für seine prahlerischen Sprüche (»I am the Greatest«) und sein Selbstlob, aber einmal erschien er zum Wiegen mit einem Streifen Klebeband über dem Mund – ein Gag, der sogar seinem Gegner ein Lächeln abrang.
Vor seinem ersten Weltmeister-Titelkampf gegen Sonny Liston fuhr er mit einem Bus, an dessen Außenseite er große Schilder angebracht hatte: »The Greatest«, »World’s Most Colorful Fighter« und »Sonny Liston will go in eight«. Er rief ein paar Zeitungen und Radiokanäle an und fuhr dann mitten in der Nacht mit dem Bus vor das Haus von Liston. Er krakelte auf dem Rasen vor dem Haus des Schwergewichtsweltmeisters herum und kündigte an, wie er ihn verprügeln würde.
Ein besonderer PR-Gag von Clay war, dass er begann, vor den Wettkämpfen genau vorherzusagen, in welcher Runde sein Gegner fallen werde. Das hatte kein Boxer vor ihm getan und sorgte allein schon für große Spannung. Clay begann früh, sich kurze Verse auszudenken, die später sein Markenzeichen wurden. So sagte er einem Reporter:
»This guy must be done,
I’ll stop him in one.«
Bei einem anderen seiner frühen Kämpfe sagte er voraus, sein Gegner werde in der sechsten Runde fallen. Kritiker stießen sich daran, dass Clay zuweilen eine ganze Runde Leerlauf einlegte, nur um seine Vorhersage einlösen zu können.
Clay jedoch »gefiel sein neuer Werbetrick, er genoss auch die zusätzliche Aufmerksamkeit, die ihm sein zunehmend forsches Verhalten einbrachte, und er war überzeugt davon, dass Publicity ihm schneller einen Titelkampf einbringen würde«. Er trumpfte auf und machte die Vorhersagen, wann sein Gegner fallen werde, zu seinem USP: »Ich bin nicht der Größte. Ich bin der doppelt Größte. Ich knocke sie nicht bloß aus, ich bestimme auch die Runde. Ich bin heute der wildeste, der schönste, der überlegenste, der wissenschaftlichste und der fähigste Boxer im Ring. Ich bin der einzige Boxer, der von Ecke zu Ecke und von Club zu Club zieht und mit den Fans diskutiert. Ich habe mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommen als irgendein anderer Boxer in der Geschichte. Ich rede mit Reportern, bis deren Finger wund sind.«
Clay trat einerseits aggressiv und extrem großsprecherisch auf, aber andererseits meist auch mit einem Augenzwinkern und einer Dosis Humor. Das machte ihn beliebt. Vor dem Kampf mit Liston sagte er: »Ich will nicht nur Weltmeister werden, sondern auch Meister des gesamten Universums. Wenn ich erst mal Sonny Liston den Arsch versohlt habe, werde ich den kleinen grünen Männchen vom Jupiter und Mars den Arsch versohlen. Und deren Anblick dürfte mich auch nicht schrecken, weil die einfach nicht hässlicher als Sonny Liston sein können.«
Als es dann zum gemeinsamen Wiegen mit Liston vor dem Kampf kam – bis dahin eher eine langweilige Routineangelegenheit –, drehte Clay regelrecht durch, schrie, schimpfte und hämmerte mit einem afrikanischen Spazierstock auf dem Boden herum. Sechs starke Männer, so schien es zumindest, mussten ihn festhalten, damit er nicht schon während des Wiegens auf Liston losging. Die meisten Beobachter dachten, er sei in völliger Hysterie gefangen, und viele glaubten, in dieser Verfassung sei er nicht fähig, einen Kampf durchzustehen. Einer, der das Geschehen genauer beobachtete, merkte jedoch, dass auch das nichts anderes als eine exakt inszenierte Show
war und die meisten Sachen vorhergeplant erschienen.
Ähnlich wie es in den 80er-Jahren Arnold Schwarzenegger schaffte, Bodybuilding zu popularisieren – zuerst in den USA und dann weltweit –, so gelang dies Clay in den 60er-Jahren mit dem Boxsport. Doch er verstand sich nicht nur als Sportler, sondern mehr noch als Star im Entertainment-Geschäft. Schon in seiner frühen Karriere meinte er: »Ich habe nicht mehr das Gefühl, dass ich im Boxgeschäft bin. Es ist Showbusiness.« Clay war, so sein Biograf Eig, »der größte Selbstvermarkter, den man im Boxsport jemals erlebt hatte«.
1963 brachte er sogar eine Platte heraus, die aus seinen Monologen und Gedichten bestand und deren hauptsächlicher Inhalt Selbstlob war: »Ich bin so großartig, ich bin sogar selbst von mir beeindruckt … Es ist hart, bescheiden zu sein, wenn man so groß ist, wie ich es bin … Alle müssen in der Runde verlieren, die ich auswähle … Ich bin ein perfektes Vorbild für Kinder: Ich sehe gut aus, bin anständig, kultiviert und bescheiden.«
Bei vielen der in diesem Buch beschriebenen Persönlichkeiten nahmen Menschen, die sie kannten, einen ausgeprägten Narzissmus wahr und beobachteten, dass sie in emotionaler Hinsicht nie richtig erwachsen geworden seien. Das trifft auch für Clay zu. So beobachtete Jerry Izenberg, damals einer der berühmtesten Sportreporter...
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